Ethische Geldanlagen – Grün sind alle meine Gelder

ESG-Siegel als homöopathische Ethik-Folklore

„Nachhaltigkeit“ als Ablasssiegel der Postmoderne – das gilt zunehmend auch bei der Geldanlage. Immer mehr Investoren achten bei Finanzprodukten neben der Rendite auf ökologische, soziale und ethische Aspekte beziehungsweise Environment, Social und Governance (ESG). Dem Wirtschaftsmagazin CAPITAL folgend möchten etwa 60 Prozent der Deutschen wissen, „wie und wo Banken und Fondsgesellschaften das Geld anlegen, das sie ihnen als Kunden in die Hand geben. Und jeder Dritte äußert ausdrücklich den Wunsch, sein Geld künftig nach umweltverträglicheren und sozialeren Kriterien zu investieren, also in nachhaltigere Finanzprodukte.“

Hans Carl von Carlowitz
Hans Carl von Carlowitz – Vater der Nachhaltigkeit, Bildquelle: Gedenktafel in Freiberg via Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Wertorientierung liegt im Trend

Selbst mit allen Wassern gewaschene Vollprofis wie etwa der niederländische Fondsmanager Pim van Vliet sieht sich genötigt, seiner Anlagestrategie einen grünen Anstrich zu verpassen: „Alle quantitativen Aktienstrategien von Robeco berücksichtigen ESG-Werte, die auf der jährlichen Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen durch RobecoSAM beruhen. Unser neuer Fonds geht aber viel weiter. Erstens verwendet er strengere ESG-Kriterien. Zweitens zielt er darauf ab, ‚Impact’-Werte hinsichtlich CO2-Emissionen, Energie- und Wasserverbrauch sowie Abfallerzeugung zu begrenzen. Drittens verwendet er auch wertbasierte Ausschlusskriterien und meidet Aktien, die aus ethischen Gründen ungeeignet erscheinen mögen. Dazu gehören Wertpapiere von Unternehmen, die mit umstrittenen Sektoren oder Geschäftspraktiken wie Kinderarbeit, Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Waffenherstellung, Beschaffung von Rüstungsgütern, Erwachsenenunterhaltung und Kraftwerkskohle in Berührung kommen.“

Darauf, dass auch die Shootingstars am deutschen Ökonomenhimmel nicht ohne den Hinweis auf gepflegte „ethische und moralische Standards“ auskommen und beispielsweise „weder in Hersteller geächteter Waffen investiert noch mit Nahrungsmitteln spekuliert“ wird, darauf wurde bereits bei der Besprechung ihres jüngsten Buches eingegangen.

Das mit Abstand größte Segment in diesem dynamischen Wachstumsmarkt sind börsennotierte Aktieninvestments. Je nach Strenge des angelegten Maßstabs buhlen allein hierzulande neben den Finanzprodukten der oben zitierten Kapitalmarktexperten weitere hunderte Investmentfonds mit einem Gesamtvolumen von über 43 Milliarden Euro um die Gunst der Anleger (CAPITAL, Stand Januar 2017). Selbst die diesjährige Invest kommt als „Leitmesse für Finanzen und Geldanlage“ nicht umher, die Nachhaltige Geldanlage als einen der Themenschwerpunkt auf die Agenda ihres Kongresses am 07. und 08. April 2017 zu hieven.

Homöopathische Investitionen

Um eine streitbare Analogie zu ziehen: Wertorientierte Aktienengagements gleichen homöopathischen Investitionen, ESG-Siegel wirken hochpotenzierten Globuli gleich als Placebo (wörtlich: „ich werde gefallen“) für ein reines Anlegergewissen. Tatsächlich entzieht sich der Handel mit börsennotierten Wertpapieren regelmäßig einer moralischen Bewertbarkeit, was schlichtweg in der Logik desselben begründet liegt.

Hierfür ist zunächst zwischen ökonomischen Strom- und Bestandsgrößen zu unterscheiden. Erstere umfassen beispielsweise Einkommen, Gewinne und Umsätze, letztere Vermögen, Schulden oder Lagerbestände. Wertpapiere sind nun unzweifelhaft eine Bestandsgröße, was im englischen Wort „stock“ sowohl für „Aktie“ als auch „Bestand“ unmittelbar zum Ausdruck kommt. Ein Bestand muss sich dabei definitionsgemäß jederzeit im Besitz eines Wirtschaftssubjekts, also einer Person oder Organisation, befinden. Die Besitzzuordnung übernimmt bei Aktien nach einmal erfolgter Emission die Börse, wo sprichwörtlich „Geld“ (Kaufangebote) und „Brief“ (Verkaufsangebote) via Makler zum umsatzmaximierenden Gebot ausgeglichen werden.

Hieran wird bereits ersichtlich, dass Investitionen (Neuemissionen ausgenommen) gerade nicht in Unternehmen erfolgen. Denn der Handel selbst erfolgt sowohl entkoppelt vom operativen Geschäft als auch ohne direkten Einfluss auf die Kapitalausstattung der Aktiengesellschaft, welche die emittierten Aktien zuvor notwendigerweise an Dritte – in der Regel die Konsortialbanken – übertragen haben muss. Nach erfolgter Emission am Primärmarkt ist der Aktienerwerb via Sekundärmarkt aufgrund der zwangsläufigen Anonymität automatisierter (Massen-)Prozesse de facto keiner moralischen Betrachtung zugänglich, hierzu müsste nämlich in jedem Einzelfall die Mittelherkunft und -verwendung des konkreten Konterparts festgestellt und beurteilt werden können.

Was Bücher und Aktien gemeinsam haben

Um einen plastischen Vergleich zu bemühen: Der organisierte Börsen- funktioniert letztlich nicht anders als der antiquarische Buchhandel. Die gehandelten Bücher wurden bereits gedruckt und einmal verkauft, die Handelsplattformen versuchen Angebot und Nachfrage der Nutzer nach bestimmten Titeln bestmöglich auszugleichen, Transaktionen haben dabei keinerlei wirtschaftliche Auswirkungen auf den einst publizierenden Verlag. Interessanterweise stellen Händler bisweilen genau deshalb den Verkauf druckfrischer Titel unliebsamer Autoren und Verlage ein, während dieselben Werke antiquarisch weiter vertrieben werden – im ersten Fall würde der Rechteinhaber unmittelbar mitprofitieren, im zweiten Fall tut dies der Eigentümer des gebrauchten Buches.

Doch selbst wenn die Relevanz von ESG-Kriterien in das Anlagekalkül einbezogen wird, setzt der Börsenhandel den Investor einem Dilemma aus. Auch dies wird anhand eines Beispiels deutlich. Welche der folgenden Transaktion ist unter Berücksichtigung ethischer Gesichtspunkte weniger zu beanstanden: Der Kauf von Aktien der Raytheon Company (Rüstungskonzern) und Pernod Ricard (Spirituosenproduzent), wenn der Verkäufer vom Erlös ein Krankenhaus finanzieren möchte oder der Kauf von Aktien der Shimano Inc. (Fahrradkomponentenhersteller) und Verstas (Windparkbetreiber), wenn der Verkäufer plant, vom Erlös ein Bordell zu bauen? Wie im Gebrauchtbuchhandel bleiben auch hier die Motive der Akteure im Verborgenen und die Ausgangsfrage damit unbeantwortbar.

Eine für ESG-Puristen naheliegende Lösung wäre es, sich vom gesamten Börsengeschehen fern zu halten. Konsequenterweise müsste der Ansatz auf den gesamten wirtschaftlichen Verkehr, sämtliche frequentierte Märkte, ausgedehnt und ein komplett autarker Lebensstil angestrebt werden. Das wiederum ist im multilateralen Beziehungsnetzwerk arbeitsteiliger Volkswirtschaften immer nur einzelnen, nicht aber allen Menschen möglich, ohne massive ökologische und soziale Verwerfungen nach sich zu ziehen, welche die ursprüngliche Absicht konterkariert.

Geldneutralität und Aktienschleier

Wie sind in diesem Zusammenhang Dividendenzahlungen zu betrachten? Was für die Aktie als wertfreies Neutrum gilt, trifft im Kern ebenso auf die Dividenden zu. Zwar handelt es sich bei den Ausschüttungen um eine Stromgröße, die hierfür periodisch notwendige Mittelherkunft ist jedoch operativen Ursprungs und ebenfalls vom jeweiligen Wertpapier entkoppelt, welches ausschließlich als Clearingstelle und damit der Mittelverteilung dient.

So wie die klassische Ökonomie mit der Neutralität des Geldes beziehungsweise dem Geldschleier die strittige Zweiteilung zwischen dem realen und monetären Sektor einer Volkswirtschaft kennt, existiert an den Finanzmärkten die Neutralität des Wertpapiers beziehungsweise ein Aktienschleier, die unzweifelhafte Zweiteilung in Börsennotiz und Geschäftsbetrieb eines Unternehmens.

Wer tatsächlich die Veränderung subjektiv verwerflich empfundener Geschäftsmodelle anstrebt bleibt bei börsennotierten Finanzprodukten letztlich nur das Mittel der (Mehrheits-)Beteiligung. Der Ankauf stimmberechtigter Aktien sowie die Bündelung gleichgerichteter Aktionärsinteressen birgt jene gestalterische Potenz, der dann tatsächlich eine moralische Qualität zugesprochen werden kann – wenn schon Schwerter zu Pflugscharen respektive Panzer zu Traktoren und Spirituosen zu Heilwasser, dann auf eigenes Risiko und eigene Kosten.

Ein teures Placebo

ESG-Siegel für den Aktienhandel an Sekundärmärkten sind reine Ethik-Folklore. Analog zu Globuli als teuerste Darreichungsform von Zucker sind „nachhaltige Finanzprodukte“ der Ausgangsstoffes einer alchemistischen Prozedur an deren Ende sich Sehnsucht und Unwissenheit in klingende Münze verwandeln, was sich beispielsweise an der Gebührenstruktur des Weik & Friedrich Wertefonds ablesen lässt. Ergänzend muss hinzugefügt werden, dass die Entkoppelung von Investment und Geschäftstätigkeit nicht nur für nachhaltige sondern alle normengeprägte Anlagen wie beispielsweise Frauen- und Genderfonds („Ein sozialverantwortlicher Ansatz ist eine Möglichkeit, Geld und Gewissen in Einklang zu bringen.“), Sündenfonds (Anti-ESG-Fonds), Fonds für Katholiken oder bibeltreue Anleger – ja, die gibt es tatsächlich alle – gilt.

Der Alchemist in seiner Küche
Der Alchemist beim Suchen nach dem Stein der Weisen, Bildquelle: Gemälde von Joseph Wright via Wikimedia Commons (gemeinfrei)

PS: Technisch betrachtet könnte der Erwerb von Aktien über die Börse auch nach Erstemissionen zumindest einen indirekten Effekt auf das operative Geschäft des Unternehmens ausüben. Das gilt zumindest dann, wenn die Transaktion kursbeeinflussend wirkt und auf Refinanzierungsbedingungen, bei denen eigene Aktien als Zahlungsmittel eingesetzt werden sollen, einwirken. Hierbei dürfte es sich allerdings regelmäßig um Größenordnungen handeln, die wiederum via Stimmrecht eine aktive Einflussnahme auf das Unternehmen erlauben.

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