Rezension – High Returns from Low Risk: Der Weg zum eigenen stabilen Aktien-Portfolio

Von Pim van Vliet, 192 Seiten, 19,99 Euro, FinanzBuch Verlag 2017

Er ist seit Monaten der unbestrittene Bestsellerautor der deutschsprachigen Finanzszene: Dr. Gerd Kommer, Träger des Finanzbuchpreises 2016, Autor des zum Standardwerk avancierten Ratgebers „Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs: Wie Privatanleger das Spiel gegen die Finanzbranche gewinnen“ (*), seit sechs Jahren mit nüchternem Pragmatismus gesegneter Prediger der kostenminimalen und indexbasierten Buy-and-Hold-Anlage. Sein zentrales Credo ist das des passiven Investierens, basierend auf der ausführlich begründeten Überzeugung, dass die systematische Erzielung risikogewichteter Überrenditen nach Kosten und Steuern, so zum Beispiel durch überlegene Auswahl von Einzeltiteln (Stockpicking), unmöglich sei.

Titelbild von High Returns from Low Risk

Dem widerspricht nun ein Kenner der Materie aus den Niederlanden, wie Kommer ein mit allen Wassern gewaschener Finanzmarktinsider und Freund der evidenzbasierten Geldanlage. Im Gegensatz zu seinem deutschen Kollegen ist Pim van Vliet jedoch – was als Feststellung und nicht als Wertung zu versetehen ist – mit einer gehörigen Portion trockenen Humors ausgestattet, die augenzwinkernd sein jüngst im FinanzBuch Verlag aufgelegtes Buch „High Returns from Low Risk“ (*) durchzieht. Die Kernthese des für die Fondsgesellschaft Robeco tätigen Portfoliomanagers lautet: Etwas mehr Risiko erhöht die Rendite, zu viel davon verringert sie jedoch wieder – dieser Befund ist langfristig stabil, gilt weltweit und über alle Anlageklassen. Vor allem aber widerspricht er dem klassischen Lehrbuchdogma der Wertpapieranlage, demnach höhere Renditen immer mit höherem Risiko einhergehen und umgekehrt. Wie kommt van Vliet nun zu diesem von ihm selbst so bezeichneten „Anlageparadox“?

Das Anlageparadox im Boom und Crash

Er und sein Arbeitskollege Jan de Koning haben zunächst historische Zeitreihen für die US-amerikanischen Aktienmärkte ermittelt und einer analytischen Rückschau unterzogen. Hierzu wurden, beginnend ab 1929, monatlich die 1.000 Aktien mit der höchsten Marktkapitalisierung nach ihrem Risiko, gemessen in der jeweiligen Schwankungsbreite (Volatilität) der letzten drei Jahre, sortiert. Dieses listenmäßige Vorgehen wiederholten die beiden Fondsmanager bis zum Ende des Betrachtungszeitraums im Jahr 2015. Anschließend bildeten sie zwei Portfolios, ein risikoarmes sowie ein risikoreiches, bestehend aus den 100 Aktien mit der niedrigsten respektive höchsten Volatilität, die jeweils quartalsweise neu zusammengestellt wurden.

An Boom- und Bustphasen herrschte im betrachteten Zeitabschnitt nun wahrlich kein Mangel: Die Goldenen 20er Jahre beziehungsweise der Crash von 1929 und nachfolgender Großen Depression, Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg, Nachkriegsboom bis weit in die Swinging Sixties, Ölkrisen und Stagflation der 70er Jahre, Bullenmarkt mit Schwarzem Montag, Asien- und Russlandkrise, LTCM-Schock sowie abschließendem Dotcom-Crash in den 80er und 90er Jahren, Millenniumsboom und Kaskade aus Subprime-, Banken-, Finanz- und Staatsschuldenkrise. In Summe wuchs über diese 86 Jahre eine Einmalanlage von 100 US-Dollar vor Kosten, Steuern und Inflation im offensiven Depot auf einen Endbetrag von respektablen 21.000 US-Dollar, im defensiven jedoch sogar auf außerordentliche 395.000 US-Dollar an. Die annualisierten Renditen betrugen 6,4 beziehungsweise 10,2 Prozent – eine eindrucksvolle Demonstration der Macht des Zinseszinses, die sich sogar potenzieren ließ.

Low-volatility & low-risk Portfolios

Ganz erstaunen kann der Befund allerdings nicht, da es in der Natur der Sache liegt, dass sich unter den hochvolatilen Aktien überproportional viele Papiere von Pleitekandidaten finden, die beim tatsächlichen Eintritt der Insolvenz durch Auszehrung des gesamten Börsenwertes die Rendite gehörig nach unten treiben. Leider wird dieser Aspekt inklusive der (ex ante) erwarteten im Gegensatz zu den im Buch ausschließlich thematisierten (ex post) realisierten Renditen nicht weiter vertieft. Wer sich hierfür interessiert, sei an das schon einmal empfohlene Buch „Überlegen Investieren: Warum sich die traditionellen Anlage-Strategien eben doch auszahlen“ (*) von Jeremy Siegel verwiesen (Stichwort „Wachstumsfalle“).

Durch Hinzunahme von nur zwei weiteren Indikatoren, dem Momentum (Kursveränderungsrate der letzten 12 Monate) und der letzten Dividendenrendite, ließ sich der Depotwert eines so konzipierten „low-volatility, low-risk Portfolios“ gar auf exorbitante 21.000.000 US-Dollar steigern, die gut 53fache Summe des ohnehin schon üppig ausfallenden defensiven Depotvolumens. Ferner weisen die beiden Analysten darauf hin, dass mit der gegenteiligen Varianten, also einem „high-volatility, high-risk Portfolio“, Anleger über Jahrzehnte währende Zeiträume real Null- oder sogar Negativrenditen eingefahren hätten. Die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieses Ergebnis zufälliger Natur ist, beziffern sie übrigens mit eins zu einer Trillionen.

Die Burnout-Strategie

Weitere empirische Belege für dieses Anlageparadox führt van Vliet für insgesamt 17 internationale Aktienmärkte auf, unter anderem für Belgien, Japan, Brasilien, China und Südafrika. Ebenso lässt sich der Befund auf Branchen und Sektoren, Währungen, Rohstoffe und Anleihen sowie Optionen übertragen. Der Grund für die Überlegenheit defensiver Strategien ist dabei stets der gleiche: Offensive Titel performen im Boom besser, verlieren im Crash allerdings auch deutlich mehr, mit konservativen Werten „gewinnt man, weil man weniger verliert.“ Genau dieser Umstand, so der Autor, erschwert Privatanlegern das notwendige unbeirrte Festhalten an der „low-volatility, low-risk“ Strategie. Im Boom verlieren entsprechend disponiert Anleger relativ, im Crash absolut – die Nötigung zu quälendem Nichtstun ist nur schwer durchzuhalten.

Van Vliet bezeichnet den Ansatz daher auch als eine „Burnout-Strategie“, die in keinem Szenario so richtig begeistern kann und weist darauf hin, dass sie sich aus genau diesem Grund bei der Zunft professioneller Geldverwalter weniger als mäßiger Beliebtheit erfreut. Tatsächlich sind konservative Anlagen aus ihrer Perspektive risikoreich und unattraktiv, was anhand der relativen Performance sowie Gewinn-Verlust-Arithmetik deutlich gemacht wird.

Hierzu ein Beispiel: Wertpapier A rentiert jährlich sicher mit 10 Prozent Rendite. Wertpapier B gewinnt im ersten Jahr 30 Prozent und verliert im zweiten Jahr 7 Prozent. Die Gesamtrendite ist bei A und B nach diesen zwei Jahren identisch, das absolute Risiko (Schwankungsbreite) bei B deutlich ausgeprägter als bei A, wo es gar nicht vorhanden ist. Aber relativ betrachtet beträgt die Unterperformance von A im ersten Jahr 20 Prozent, die Überperformance im zweiten Jahr 17. Im arithmetischen Mittel schneidet A also 1,5 Prozentpunkte pro Jahr schlechter ab als B, trotz identischer und risikofreier Gesamtrendite. Dem Problem der arithmetischen im Gegensatz zur geometrischen Rendite und des relativen beziehungsweise absoluten Risikos widmet sich übrigens auch Kommer in seinem oben genannten Buch sehr ausführlich.

Long-Shot-Verzerrung

Diese die Praxis dominierende Betrachtung führt zu dem Paradox, dass selbst Wertpapiere ohne Risiko relativ gesehen sehr risikoreich sein können. Und ein zu hohes relatives Risiko ist für Fondsmanager ein „Karriererisiko von überragender Bedeutung“. Dies macht dann die tendenzielle Präferenz zugunsten lotterieähnlicher Aktien nachvollziehbar, ein Verhalten, das bei Pferderennsportwetten als Long-Shot-Verzerrung bekannt ist: Niedrige Wahrscheinlichkeit mit hohen Gewinnquoten üben eine nahezu unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Sie allein ermöglichen es überhaupt, mit einen einzigen Einsatz oder Investment berühmt zu werden. Dies ist bei „low-volatility, low-risk“ Anlagen nahezu ausgeschlossen. Aus dem Grund kann der Autor auch lediglich sieben Fonds aufzählen – darunter auch die Robeco Conservative Equities Fondsfamilie –, die diesen Ansatz konsequent verfolgen, wohl wissend, dass sie im arithmetischen Mittel den meisten Vertretern ihrer Vergleichsgruppe hinterherhinken und daher vielen Kunden nur schwierig schmackhaft zu machen sind. Eventuell war das auch ein wesentliches Motiv für van Vliet, die Vorzüge seiner Anlagestrategie zu veröffentlichen.

Auch dem berechtigten Einwand weitsichtiger Finanzmarkttheoretiker, ob dieses Anlageparadoxon denn auch nach seiner Publikmachung noch Bestand haben und nicht durch die Anleger „wegarbitriert“ würde, entkräftet der Autor zum Abschluss seiner Analyse. Zum einen wurde es bereits vor mehr als 40 Jahren erstmalig entdeckt und ausführlich analysiert ohne an Wirkung verloren zu haben, zum zweiten werden immer mehr Wertpapiere von karrieresensiblen Berufsanlegern verwaltet was zu guter Letzt durch das zunehmend beliebtere breite und passive (Index-)Investing befeuert wird. In den Worten des Autors: „Das Paradox zu sehen heißt nicht bereit zu sein, davon zu profitieren.“

Fazit und Nutzen für Einkommensinvestoren

Nach dem Fußballfeld ist mit „High Returns from Low Risk: Der Weg zum eigenen stabilen Aktien-Portfolio“ (*) nunmehr auch auf dem Börsenparkett der Klassiker Deutschland gegen die Niederlande eröffnet. In jedem Fall wurde dem Duell zwischen den Vertretern konservativen Stockpickings und globalen Indexinvestings mit der vorliegenden Abhandlung neue Munition zugeführt. Diese ist auch online abrufbar, auf ihrer Webseite haben van Vliet und de Koning die Datenbasis auch für ihre deutschen Leser als Excel-Tabelle zugänglich gemacht. Ergänzende Informationen zu nützlichen Internettools runden das Gesamtangebot ab, welches sich nicht nur an erfahrene Anleger sondern auch an Börsenneulinge richtet.

Einkommensinvestoren schließlich können die Erkenntnisse van Vliets im Rahmen der Umsetzung ihrer eigenen Hochdividendenstrategie nutzen, indem sie diese beispielsweise um die Parameter Volatilität und Momentum bei Neu- oder Ersatzinvestitionen ergänzen (siehe hierzu Kapitel 17 in „Bargeld statt Buchgewinn“). Ob sich speziell im Bereich der Hochdividendenwerte das Anlageparadoxon profitabel ausbeuten lässt kann dabei mangels entsprechender Datenbasis lediglich vermutet werden. Ich selbst verzichte auf den Einsatz entsprechender Indikatoren – aus reiner Bequemlichkeit.

PS: Gibt es noch weitere Bücher zum Thema, die sich für die Leser des Blogs zu rezensieren lohnt? Schreiben Sie mir Ihre Vorschläge – mit oder ohne E-Mail-Kontakt!

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