Börsentrend – Die Mutter aller Blasen

Wie lange noch währt der säkulare Bullenmarkt?

Das zuletzt an dieser Stelle besprochene Buch „Die alternde Gesellschaft und das Versagen der Politik“ (*) von Herwig Birk wies auf den ersten Blick keinerlei Bezug zu Finanzmärkten und Geldanlage auf. Am Ende der Rezension gab ich zu verstehen, dass „ich die Beschäftigung mit der Demographie für jeden langfristig agierenden Kapitalanleger als unverzichtbar“ erachte. Warum das so ist und was das für Anleger in den kommenden Dekaden bedeutet möchte ich nachfolgend darlegen. Im Wesentlichen werde ich hierbei empirische Untersuchungen zu historischen Wertpapier- beziehungsweise Aktienrenditen mit einer im deutschen Sprachraum vermutlich wenig bekannten Hypothese zur Parallelität von Lebenszyklus und Kursentwicklung verknüpfen.

Die Langfristrendite von Aktien

„Langfristig wird der Aktienmarkt immer steigen“ – für sehr lange Zeiträume und bei stetiger Wiederanlage der Ausschüttungen war diese heutzutage fast zum Dogma erhobene Beobachtung bisher korrekt. Belastbare Zeitreihen von Börsendaten, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreichen, liegen beispielsweise für die USA vor. Eine interessante Analyse derselben hat im Frühjahr 2016 die Vermögensverwaltungsgesellschaft Allianz Global Investors publiziert. Demnach existiert in den 215 Jahren zwischen 1800 und 2015 keine einzige dreißigjährige Anlageperiode, in der die durchschnittliche reale Jahresperformance für US-Aktien nicht positiv ist. Die inflationsbereinigte Rendite betrug über diese, ein knappes Anlegerleben währende Periode mindestens 2,81 Prozent per annum (maximal waren es 10,63 Prozent). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen zahlreiche ähnliche Studien für andere entwickelte Länder, wenn auch meistens für kürzere Zeiträume.

Ein gigantisches Ablenkungsmanöver

Doch warum steigen Aktien respektive Indizes überhaupt? Dieser Frage hat sich vor einigen Jahren das US-amerikanische Bogle Financial Markets Research Center gewidmet. Die Antwort fällt in diesem Fall recht unspektakulär aus: Empirisch betrachtet entspricht die Aktienrendite im langfristigen Durchschnitt annähernd exakt den Unternehmensgewinnen. Hierzu hat das Institut die Entwicklung des US-amerikanischen Aktienmarkts zwischen 1900 und 2005 untersucht und dessen Performance in zwei Komponenten, eine aus Dividendenrendite und Gewinnwachstum bestehende Anlagerendite sowie den spekulativen Ertrag, zerlegt. Die nominale Rendite von durchschnittlich 9,5 Prozent lässt sich dabei fast vollständig auf die Anlagerendite (und hier circa je zur Hälfte auf Dividendenrendite und Gewinnwachstum) zurückführen. Der stark schwankende spekulative Ertrag trägt über die 106 Jahre lediglich 0,1 Prozent zur jährlichen Performance bei. Der Befund gilt wohlgemerkt für den Gesamtmarkt und im langfristigen Mittel. Dies kann auch nicht verwundern, bestätigt der Befund doch die landläufige These, dass der Wert einer Aktie der Summe aller abgezinsten Unternehmensgewinne auf die Gegenwart entspricht.

Der Vorsitzende, Gründer und Namensgeber des Bogle Financial Markets Research Center, John C. Bogle, bezeichnet den spekulativ getriebenen Aktienhandel daher auch als „ein gigantisches Ablenkungsmanöver“. Denselben Gegenstand aus einer etwas anderen Perspektive hat auch der Robert G. Hagstrom in seiner jüngsten Buffett-Biographie untersucht. Hierzu ermittelte er die Korrelation zwischen dem operativen Gewinn und dem Aktienkurs von über 12.000 Unternehmen über verschiedene Zeiträume. Demnach liegt der Korrelationskoeffizient auf Sicht von fünf Jahren zwischen 0,374 und 0,599, bei zehn Jahren bereits zwischen 0,593 bis 0,695. Das heißt das bereits nach einer Dekade Haltedauer die Performance einer Aktie im Durchschnitt zu etwa 60 bis 70 Prozent vom operativen Gewinn des jeweiligen Unternehmens abhängt (da umgekehrt die Kursentwicklung in aller Regel keinen Einfluss auf den operativen Gewinn des Unternehmens ausübt).

Lebenszyklus und Konsumausgaben

Nun können sowohl Dividenden als auch Gewinne einzig und allein aus Umsätzen bestritten werden. Diese wiederum sind untrennbar an eine Nachfrage gekoppelt. Lassen sich Konsummuster typisieren und mit der Entwicklung der Unternehmensgewinne als wesentlichen Treiber der Aktienrenditen verknüpfen? Genau dies hat der US-amerikanische Analyst und Investor Harry S. Dent getan. Tatsächlich sind die Konsumausgaben über den Lebenszyklus zumindest in den westlichen Gesellschaften gut untersucht. In den USA erreichen diese im fünften Lebensjahrzehnt ihren statistischen Höhepunkt. Ausgabenspitzen weisen die Statistiken des Arbeitsministeriums im Alter von 46 und 50 Jahren aus. Nun hat Dent die Kurve der US-amerikanischen Geburtenzahlen pro Jahr um 48 Jahre verschoben und über die des Dow-Jones-Indexes gelegt – das Ergebnis spricht zumindest bis zur letzten Jahrtausendwende für sich.

Geburtenzahlen in den USA und Dow-Jones-Index
Bildquelle: A Brief History of Human Evolution and Economic Progress von Harry S. Dent, 2004, Seite 43 (chart 23)

Seither wird Dent in zahlreichen Publikationen nicht müde, auf die enge Korrelation zwischen Börsentrends und demographischer Entwicklung hinzuweisen. Allerdings wechselten sich in der Vergangenheit seine frappierend genaue Vorhersagen mit ebenso spektakulären Fehlprognosen ab. Letztere lassen sich ebenfalls gut an der demographischen Trendkurve für die USA nachvollziehen. Die projizierten 40.000 Punkte für den Dow Jones zum Ende der 2000er Jahre blieben bekanntlich unerreicht. Was ist passiert? Der spekulative Ertrag machte den „Projected Dow“ zunichte. Seine sich langfristig zwar ausgleichenden, phasenweise gleichwohl heftigen Schwankungen ließen einem Verzerrer gleich den Trend kurz- bis mittelfristig oszillieren. Während die demographische Entwicklung einer der am besten prognostizierbaren ökonomischen Variable einer Volkswirtschaft ist, ist die der Börse mit am schwierigsten vorherzusagen. Die Rendite am Aktienmarkt erweist sich unter dieser Prämisse daher auch als Durchhalteprämie des Anlegers.

Die Bogle-Dent-Birg-Synthese

Ihre volle Stärke entfaltet Dents Hypothese daher erst à la longue in Kombination mit Bogles fundierter Renditeanalyse. Und genau hier erweist sich das von Herwig Birg aufbereitete und kommentierte Datenmaterial als evident. Werden die drei Ansätze zusammengeführt, ist bereinigt um das spekulative Rauschen und auf die globalen Kapitalmärkte übertragen bis mindestens Mitte des 21. Jahrhunderts mit weiter steigenden Kursen an den Weltbörsen zu rechen. Etwa zwischen 2050 bis 2070 tritt dann aller Wahrscheinlichkeit nach das historisch in dieser Dimension noch nie dagewesene Szenario einer Schrumpfung und Alterung der Erdbevölkerung ein: Die in über 400 Jahren aufgepumpte „human bubble“ oder „demografische Blase“ verliert ab dann mit ziemlicher Sicherheit sukzessive an Luft.

Entwicklung der Weltbevölkerung
Entwicklung der Weltbevölkerung, Bildquelle: Anton via Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Dieser Strukturbruch könnte (mit einiger Verzögerung) eine Umkehr des übergeordneten Megabullenmarktes einleiten, der mit Emission der „Vereenigde Oostindische Compagnie“ (Niederländische Ostindien-Kompanie), der ersten modernen Aktiengesellschaft, ihren Anfang nahm. Die Ausgabe der Aktie erfolgte im Jahr 1602 – exakt zu Beginn der Beschleunigungsphase des globalen Bevölkerungsbooms.

Aktie der Niederländischen Ostindien-Kompanie (1606)
Aktie der Niederländischen Ostindien-Kompanie (1606), Bildquelle: Stadsarchief Amsterdam via Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Demnach dürfte spätestens die kommende Generation vor einem kaum auflösbaren Anlagedilemma stehen, denn selbstverständlich wird das Platzen der „human bubble“ Auswirkungen auf sämtliche Anlageklassen haben. Im Umkehrschluss sollte ein gut diversifiziertes Weltportfolio bis dato äußerst attraktive Renditen ermöglichen, sofern der mit Beginn der Neuzeit beschrittene ökonomische Trend auch weiterhin anhalten sollte. Hoffnungsfroh kann dabei zumindest der Umstand stimmen, dass der an katastrophischen Extremszenarien überreiche Zeitraum seit 1800 einer gedeihlichen Entwicklung des Produktivkapitals keinerlei Abbruch getan hat.

PS: Die Analyse von Bogle findet sich in seinem äußerst lesenswerten Buch „Keine Investment-Zauberformel: Börsengewinne mit gesundem Menschenverstand“ (*). Die deutschsprachige Ausgabe ist allerdings fast immer vergriffen. Sofern sich die Möglichkeit bietet, ein Exemplar zu einem vertretbaren Preis zu erwerben, rate ich zum Kauf. Alternativ kann auf das englische Original „The Little Book of Common Sense Investing: The Only Way to Guarantee Your Fair Share of Stock Market Returns“ (*) zurückgegriffen werden. Dents Hypothese wiederum habe ich seinem Ratgeber „Der Jahrhundert Boom“ (*) entnommen, welches den demografischen Faktor ausführlich thematisiert – hier sind gebrauchte Exemplare bereits ab 99 Eurocent erhältlich!

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