Rezension – Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse

Von Nassim Nicholas Taleb, 624 Seiten, 29,99 Euro, Knaus Verlag 2015

Von allen Finanzbuchautoren hat Nassim Nicholas Taleb wohl die besten Chancen, den legendären André Kostolany zu beerben. Beide wurden nach Eigenauskunft durch Spekulationen reich und unabhängig, aber erst durch ihre publizistische, mit zahlreichen biographischen Anekdoten angereicherte Tätigkeit weltweit berühmt. Vor nunmehr zehn Jahren ist Talebs seinerzeit knapp 400 Seiten starkes Werk „Der Schwarze Schwan“ (*) erstmals in deutscher Sprache erschienen – heute ein Klassiker des Genres.

Titelbild von Der Schwarze Schwan

Humanistische Bildung mal anders

Der Titel spielt auf das zentrale Problem empirischer Wahrheitsfindung an, den Umstand, dass selbst eine tausendfach bestätigte Hypothese sich beim nächsten Realitätstest als falsch erweisen kann. So glaubten die Europäer bis zur Entdeckung Australiens, alle Schwäne seien weiß, bis sie Down Under eine schwarz gefiederte Art entdeckten. Und genau diese „Spezies“ entfaltet ihre Flügel respektive Wirkung in fast allen Facetten des menschlichen Denken und Handelns, im Positiven wie im Negativen. Das gilt für die meisten bedeutenden Erfindungen der Menschheitsgeschichte genauso wie für Katastrophen jeglicher Art. Der Untertitel „Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ bereitet dabei den Weg in eine Welt falscher Prämissen, fehlgeleiteter Theorien, sich selbst verriegelnden Expertenwissens und deren oft fatale Auswirkungen.

Wie schon beim deutschsprachigen Erstling des Autors „Die Narren des Zufalls“ (*) erwartet den Leser ein thematisch wie semantisch sehr eigenwilliger Ausflug in die mit Geschichte und Geschichten gewürzte Welt der Philosophie, Mathematik, Naturwissenschaften und Ökonomie. Dieser kombiniert unterhaltsam vorgetragene, hochinteressante Denkansätze mit streckenweise sehr breit ausgewalzten Trivialitäten. Zudem polemisiert der Autor einerseits durchaus gerechtfertigt gegen bestimmte Typen von Experten im Allgemeinen sowie Ökonomen im Besonderen und mahnt zu Bescheidenheit und Demut. Andererseits erlaubt er sich selbst davon ein Stück weit davon auszunehmen, wie der streckenweise narzisstische Schreibstil zumindest vermuten lässt. Nichts desto trotz (oder gerade deswegen) legte Taleb mit diesem auf sehr individuelle Weise polarisierenden Werk einen mit reichlichen Vorschusslorbeeren bedachten internationalen Bestseller hin.

Die Finanzkrise zum Weltbestseller

Dazu beigetragen haben dürfte zweifellos, dass der Originaltitel erstmals im April 2007, also kurz vor der Implosion des durch US-amerikanische Hypothekenschuldner befeuerten Börsen- und Wirtschaftsbooms, erschien. Die damit einhergehende Weltfinanzkrise erwies sich geradezu als archetypisches Fallbeispiel von Talebs Kernbotschaft, den Glockenkurven-Irrtum alias Truthahn-Falle beziehungsweise „den Großen Intellektuellen Betrug“. Kein Wunder also, dass der tatsächliche Eintritt des literarisch behandelten Szenarios einer Replik bedurfte. Diese zusätzlichen gut 100 Seiten wurden der amerikanischen Neuauflage als zusätzliches Kapitel angefügt, im deutschen Sprachraum dagegen zunächst als eigens Buch vermarktet, welches die Essenz der talebschen Gedankenwelt nochmals auf den Punkt brachte.

Die Grundlagen der Antifragilität

Neu hinzu kamen – der Untertitel „Konsequenzen aus der Krise“ deutet es an – neben einigen Klarstellungen die äußerst lesenswerten Überlegungen des Autors zur Charakteristik robuster (Finanz-)Systeme, für die er sich die erfolgreichste komplexe Ordnung als Vorbild nimmt: Die Natur. Die Schaffung von Redundanzen und eine frühzeitige Zerstörung alles Fragilen verhindere hier das Entstehen systemrelevanter Größen und schützt vor den, im Bereich der (Wirtschafts-)Wissenschaften nach wie vor weitgehend ignorierten, Nichtlinearitäten und Strukturbrüchen. Diese Ausführungen wurden in die aktuelle deutsche Ausgabe von „Der Schwarze Schwan“ integriert und bildeten die Basis für Talebs nächsten Bestseller: „Antifragilität“ (*), eine „Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“.

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