Geldgeschichte – Jesus, der Schekel-Rebell

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Die Passion aus ökonomischer Perspektive

Mit Ostern begeht die Christenheit rund um den Globus am morgigen Tag das höchste Fest des Kirchenjahres. Und dies, folgt man den Chronisten, zum fast zweitausendsten Mal. Untrennbar mit dem Auferstehungsglaube einher geht seit jeher der Kreuzestod Jesu vor den Toren des antiken Jerusalems. Unabhängig von der theologischen Dimension ist es unbestreitbar, dass die Berichte über jenes Ereignis bis in die Gegenwart nachwirken. Dabei geht meist unter, dass der Auslöser für jenes welthistorisch so bedeutsame Todesurteil im Kern einem Angriff auf die gelpolitische Ordnung geschuldet ist. Oder frei nach Golo Mann: Der Kern aller Geschichte ist Geldgeschichte. Dem möchte ich nachfolgend in guter Karfreitagstradition genauer auf den Grund gehen.

Der Aufstand der Makkabäer

Unter ihrem Anführer Judas „der Hammer“ Makkabäus erhoben sich im Jahr 167 vor Christus die Judäer gegen die Fremdherrschaft der griechischen Seleukiden. Ihr riesiges Reich, ein sogenannter Diadochenstaat, gründete auf den Eroberungen Alexanders des Großen. Vorangegangen war diesem ersten Religionskrieg der Weltgeschichte ein Regierungsdekret König Antiochos IV., das von allen Juden den Abfall vom Jahwe-Glauben durch Vollzug heidnischer Opferpraktiken verlangte. 165 vor Christus konnten die Aufständischen Jerusalem erobern. An die anschließende Wiedereinweihung ihres Zentralheiligtums, des zweiten Tempels, erinnert bis heute das Fest Chanukka.

Der Triumph des Judas Makkabäus
Der erste siegreiche Religionskrieger, Bildquelle: Peter Paul Rubens via Wikimedia Commons (gemeinfrei)

25 Jahre nach Beginn der Erhebung gewährte der seleukidische König Demetrios II. dem judäischen Kernland politische Autonomie und bestätigte Simon Makkabäus, den Bruder des zwischenzeitig gefallenen Judas, als dessen Fürsten und Hohepriester. Dieser begründete damit auch formal die Dynastie der Hasmonäer. Knapp 400 Jahre nach Ende des babylonischen Exils hatte das politische Judentum erstmals wieder seine Eigenstaatlichkeit errungen.

Als historisch folgenreichste Maßnahme erwies sich die eine Generation später unter Simons Sohn und Nachfolger Johannes Hyrkanos durchgeführte Neuordnung des judäischen Münz- beziehungsweise Geldwesens. Das Besondere daran: Im Zentrum dieser neuen Ordnung stand ein Instrument, ohne dass kein modernes Geldsystem auskommt, die sogenannte Seigniorage. Der Begriff leitet sich vom französischen Wort „seigneur“ für Feudal- oder Lehnsherr ab und bezeichnet den Geldschöpfungsgewinn oder Schlagschatz. Dieser wiederum ist das Resultat aus dem Geldmonopol der Zentralbank einerseits sowie dem Steuermonopol des Staates andererseits. Bei der hasmonäischen Neuordnung des Münzwesens handelt es sich um einen hervorragend dokumentierten Präzedenzfall der Seignorage in der Antike. Schauen wir uns diesen näher an.

Die judäische Münzordnung

Erstes Element der Neuordnung war die Einführung des tyrischen Schekels, einer hochwertigen, im griechischen Münzfuß (Drachme) geschlagenen Silberprägung aus der am Mittelmeer gelegenen Stadt Tyros. Die Emission der Silbermünze erfolgte dabei zu einem Kurs über pari, der eingeprägte Nennwert der Münze war also deutlich höher als der Materialwert des darin enthaltenen Edelmetalls. Diese Differenz bescherte den Clearingstellen, den im Auftrag des Tempels tätigen Geldwechslern, besagten Schlagschatz. Diese sogenannte Kalbon-Gebühr (aus dem griechischen „kollybos“ für Klein- oder Wechselgeld) betrug je nach Zahlungsmittel ab vier Prozent aufwärts.

Nun stellt sich allerdings die berechtigte Frage, warum jemand eine derartige Münze überhaupt kaufen soll? Auf einen wirtschaftlich begründeten Bedarf durften die Geldwechsler angesichts eines sicheren Verlusts nicht hoffen. Im privaten Zahlungsverkehr, also bei Handelsgeschäften, kam es schließlich unabhängig vom Münzstandard allein auf das Reingewicht in Edelmetall an. Den Schlagschatz zu vereinnahmen erforderte notwendigerweise eine Nachfrage, die nur über einen Zwang zur Beschaffung gewährleistet werden konnte.

Besagten Zwang stellten die Hasmonäer als zweites Element ihrer neuen Münzordnung dadurch sicher, dass allein der tyrische Schekel zur Begleichung der unter ihrer Herrschaft wahrscheinlich wiedereingeführten Tempelsteuer akzeptiert wurde. Anders ausgedrückt: Nur der tyrische Schekel war gesetzliches Zahlungsmittel. Als vorteilhaft, wenn nicht gar notwendig erwies sich dabei der Umstand, dass die Hasmonäerdynastie von Anfang an die weltliche und geistliche Autorität in einem erblichen Hochamt bündelte (1. Makk 14, 41f). Im Gegensatz dazu wurde übrigens vor dem babylonischen Exil eine strikte Trennung beider Funktionen praktiziert. Hierzu passt ferner, dass vermutlich bereits unter Simon Makkabäus die relativ kleine Gruppe der Sadduzäer, eine philosophische Schule und politische Interessensgruppe, die sich überwiegend aus der judäischen Feudal- und Funktionärselite rekrutierte, die Priesteraristokratie und Tempelverwaltung stellte.

Der Schekel und die Tempelabgabe

Die Tempelabgabe selbst basierte auf dem Sinaibund des Alten Testaments. Er sieht vor, allen männlichen Israeliten ab dem 20. Lebensjahr ein Sühneopfer aufzuerlegen. Dabei handelte es sich um ein jährliches „Lösegeld anlässlich der Veranlagung“, demnach jeder „einen halben Schekel, entsprechend dem Schekelgewicht des Heiligtums, entrichten soll“ (2. Mose 30, 12).

Indem die Hasmonäer die Seigniorage in das Gewand der alttestamentarischen Tempelabgabe kleideten, verschafften sie ihrem Münzsystem nicht nur sakrale Legitimation, sondern übten auch erheblichen sozialen Druck auf ihre Glaubensbrüder aus. Letzterer scheint allerdings nicht ausgereicht zu haben, denn als drittes Element der Neuordnung wurde das moralische Gebot zu einem gesetzlichen Zwang für alle im hasmonäischen Machtbereich sesshaften Juden – insgesamt etwa eine Million Menschen – erklärt. Diese konnten fortan allein durch Zahlung tyrischer Schekel ihre Schulden beim Tempel begleichen.

Fiskalisch erwies sich das neue Geldsystem als durchschlagender Erfolge. Der tyrische Schekel wurde alsbald zur bedeutendsten Münze Kleinasiens. Hierzu trugen auch die etwa sechs Millionen Juden in der Diaspora bei, unter denen die erwachsenen Männer in der Regel ebenfalls ihr Sühneopfer leisteten. Als Kopfabgabe – ein halber Schekel entsprach etwa zwei Tagesverdiensten – spülte allein die Tempelabgabe etwa eine Million Schekel oder 330 Talente Silber pro Jahr in die Schatzkammer des Allerheiligsten. Das entsprach in etwa dem Finanzbedarf zweier römischer Legionen, zusammen gut 10.000 Soldaten.

Ein kaum zu steigerndes Sakrileg

Der letzte Vergleich erhellt auch ein bis heute mit einem großen Fragezeichen versehenes Sakrileg besagter Münzreform: Die Vorderseite der tyrischen Prägung zierte traditionell der Stadtgott Melkart. Als „Baal von Tyros“ stand er in unversöhnlicher Gegnerschaft zum Jahwe-Glauben (welcher keine Gottesbilder kennt). Warum wurde dieser Akt kaum zu steigernder Gotteslästerlichkeit in Kauf genommen? Warum riskierte die Hasmonäerdynastie mit ihrer Münzordnung bewusst das in sie gesetzte Vertrauen?

Tyrischer Schekel
Der Silberling des Anstoßes, Bildquelle: Encyclopaedia Biblica via Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Vermutlich, da ein spezielles Bedürfnis der Herrscherelite existierte, das nur durch tyrische Schekel befriedigt werden konnte. Als historisch gesichert gilt, dass Johannes Hyrkanos in seiner 30jährigen Regierungszeit das Herrschaftsgebiet Judäas mehr als verdoppeln konnte. Hierbei nutzte er in erheblichem Umfang die Dienste fremder, also vor allem nichtjüdischer Söldner. An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Der griechische Münzfuß war der Dollar der hellenistischen Welt und der antike Besoldungsstandard. Die – später vermutlich nach Jerusalem verlegte – tyrische Prägeanstalt wiederum war für die unerreichte Wertbeständigkeit und Reinheit ihrer Silberlegierungen bekannt. Beide Faktoren in Kombination waren unabdingbar, um große Söldnerkontingente unter Vertrag zu nehmen, ohne die wiederum keine Landnahme möglich war. Die gotteslästerliche Münzreform der Hasmonäer sicherte den hierfür konstanten Mittelzufluss.

Das Passahfest als Zahlungstermin

Als im vierten Jahrzehnt unserer Zeitrechnung ein charismatischer Wanderprediger der Prophezeiung Sacharjas folgend auf dem Rücken eines Esels unter dem Jubel zahlreicher Anhänger in Jerusalem Einzug hielt, hatte die oben skizzierte Fiskalordnung nach wie vor unverändert Bestand.

Die hasmonäische Dynastie war allerdings bereits knapp 70 Jahre zuvor von den unter Johannes Hyrkanos judaisierten Herodianern ausgelöscht und diese wiederum durch die Römer entmachtet worden. Als willfähriger Kollaborateur des Imperiums erwies sich der sadduzäische Priesteradel. Gegen Sicherstellung der öffentlichen Ordnung sowie Abführung fälliger Reichssteuern, der sprichwörtlichen „Zinsmünzen“, konnte er seine Amtsgewalt durchgängig wahren.

Der Zeitpunkt des Einzuges zum Pessach war keineswegs zufällig gewählt. Am Hochfest war Zahlungstermin für die Tempelsteuer, deren Fälligkeit einen Monat vorher durch Boten im ganzen Land angemahnt wurde. Einem solchen begegneten Jesus und Simon Petrus zuvor noch in Kapernaum (Mt 17, 24). Als Galiläer waren sie, wie auch die anderen Jünger, rechtlich nicht zur Zahlung verpflichtet. Gleichwohl wird Petrus von Jesus aufgefordert, einen Fisch zu fangen und ihm das Maul zu öffnen: „Du wirst darin eine Münze finden, die für deine und meine Abgabe ausreicht. Bezahle damit die Tempelsteuer!“

Anders sah die Rechtslage bei den Judäern aus. Wer die Steuer nicht zahlen konnte, bei dem wurde gepfändet, einschließlich die Person selbst sowie ihre Angehörigen. Mit dieser Aufgabe waren nicht nur die Zöllner, sondern auch die ebenso missliebigen öffentlichen Geldwechsler betraut, die im Gegensatz zu privaten Anbietern – auf diese bezieht sich Jesus beispielsweise im Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt 25, 14ff) – als „Beamte“ des Tempelfiskus hoheitlich handelten.

Ein Frontalangriff gegen das Geldsystem

Kurz nach dem Einzug folgt mit der Tempelreinigung jene in allen vier Evangelien bekundete Schlüsselszene, die sich ganz bewusst gegen das Fundament der sakralpolitischen Ordnung zielt (Mk 11, 15): „Jesus ging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug.“ Konkret bezeichnet er die Schnittstelle zwischen Zentralbank und Tempelfiskus als „Räuberhöhle“.

Jesus reinigt den Tempel
Der Schekel-Rebell in Aktion, Bildquelle: Bernardo Bellotto via Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Wie die Geldwechsler standen auch die Händler im Dienst des Tempels. Sie verkauften als Monopolisten vorgeschriebene Opfergegenstände, wie sie für die Tempelkulte im gesamten Mittelmeerraum typisch waren. Hierzu gehörten beispielsweise sogenannte Votivfiguren oder eben Tauben. Können diese nicht mehr durch den Tempelbezirk getragen werden, lassen sich damit auch keine Verkaufserlöse mehr erzielen, die dem Tempelschatz zufließen.

Ebenfalls erhellt sich in diesem Zusammenhang die Andeutung Jesu, den Tempel nach dessen Abriss in drei Tagen wieder aufzubauen (Joh 2, 19). Der Fokus auf das administrative statt das steinerne Fundament, also die Schuldenkataster und Steuerlisten, rücken das Vorhaben dann auch in den Bereich des Machbaren.

In den Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas leitet dieser Angriff gegen die Seignorage als Lebenselixier der judäischen Münzordnung unmittelbar zur Passionsgeschichte über. Die Evangelisten berichten inhaltlich übereinstimmend, die „Hohenpriester und die Schriftgelehrten hörten davon und suchten nach einer Möglichkeit, ihn umzubringen“ (Mk 11, 18). Als (fiskal-)politisches Delikt fielen Urteil und Vollstreckung in die behördliche Zuständigkeit der römischen Gerichtsbarkeit und nicht des jüdischen Sanhedrin. Letzterer war gleichwohl im Verbund mit der Tempelwache zuständig für die Ermittlung und Anklage im Fall einer Störung der öffentlichen (Geld-)Ordnung. Für die Verhaftung bedurfte es dann lediglich noch einer Investition von 30 tyrischen Schekeln zum Kauf eines Verräters. In diesem Fall Judas Iskariot.

Das Erbe des Schekel-Rebells

Das Erbe des gekreuzigten Schekel-Rebells traten in der Jerusalemer Urgemeinde in alter Tradition Jakobus, der Bruder Jesu, als weltlicher und Simon Petrus beziehungsweise Kephas – aramäisch für „Stein“ und eine Erinnerung an den Tempelberg beziehungsweise das alte Priesteramt – als geistlicher Sachverwalter an.

Dem globalen Siegeszug der Seigniorage tat das Wirken des galiläischen Zimmermannssohns hingegen keinen Abbruch – vorerst. Sollte sich die Offenbarung dereinst tatsächlich erfüllen und der „Menschensohn […] kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen“ (Mt 16, 27), so stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Hüter des Mammons, des unredlichen Steuerflusses und Geldschöpfungsgewinns, „hinausgeworfen [werden] in die äußerste Finsternis; dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen“ (Mt 8, 12).

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    Eine Antwort auf „Geldgeschichte – Jesus, der Schekel-Rebell“

    1. Lieber Luis,
      vielen Dank für diesen wieder einmal hervorradend recherchierten Beitrag, abseits des Mainstream.
      Es ist immer wieder überraschend, wie sich die Geschichte wiederholt und was man daraus lernen könnnte.
      Z. B. der dieser aktuelle Beitrag;
      oder die „Drei Speichen Regel“
      https://nurbaresistwahres.de/rezension-drei-speichen-regel-das-1600-jahre-alte-geheimnis-der-ertragreichen-und-sicheren-geldanlage/
      oder Changing World Order von Ray Dalio
      https://www.youtube.com/watch?v=xguam0TKMw8
      Leider ist die Lernkurve der Menschheit eher flach 🙁
      Wenn sich die Offenbarung dereinst erfüllen sollte, dann wird es wirklich eng für die Zentralbanker und etliche politische Führer 🙂

      Beste Grüße

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