Anleihen – Langfristig (vielleicht) zur schwarzen Null

Finanzielle Repression als Ausweg aus der Staatsschuldenkrise?

Wenn schon am kurzen Ende der Zinskurve, also mit Tages- und Festgeld und Sparbüchern, seit jeher bestenfalls auf Kapitalerhalt gehofft werden darf, lässt sich dann wenigstens an deren langem Ende, das heißt mit klassischen Anleihen, inflationsbereinigt Geld verdienen? War nicht über Generationen hinweg der Couponschneider geradezu der Inbegriff des Rentiers respektive Einkommensinvestors, dessen alljährliches Ritual im sorgfältigen Abtrennen des jeweiligen Zinskupons vom Anleihebogen bestand, um diesen im Anschluss bei der Hausbank in Bargeld einzulösen?

Unabhängig davon, dass mittlerweile elektronisch administrierte Handelsplattformen und Sammeldepots die Zahlungsvorgänge vollautomatisch umsetzen und abgesehen von der aktuellen Anomalie an den internationalen Märkten für verzinste Wertpapiere – Mitte 2016 wiesen börsennotierte Obligationen im Wert von neun Billionen Euro, unter ihnen sämtliche Schweizer Staatsanleihen, negative Renditen aus: Zumindest in der langfristigen Rückschau kommt es sehr auf die Jurisdiktion und das Zeitfenster an.

Historische Anleihenrenditen

Der US-amerikanischen Ökonomieprofessor und Finanzbuchautor Jeremy Siegel hat zur Beantwortung dieser Frage bereits vor über zehn Jahren die Renditen verzinster öffentlicher Schuldtitel für den Zeitraum 1900 bis 2003 berechnet beziehungsweise rekonstruiert und in seinem Bestseller „Überlegen Investieren: Warum sich die traditionellen Anlage-Strategien eben doch auszahlen“ (*) veröffentlicht. Aufgrund der Datenlage musste er sich dabei auf 16 Länder der Ersten Welt, also relativ bonitätsstarke Emittenten, beschränken. Ergebnis: Die Anleiherenditen bewegten sich inflationsbereinigt mit wenigen Ausnahmen im minimal positiven Bereich. Bei den Ausnahmen handelte es sich vor allem um die (ehemaligen) Mittel- beziehungsweise Achsenmächte, bei denen Währungsreformen die Renditen durchweg ins Minus drückten.

Die 8. österreichische Kriegsanleihe
Kriegsanleihe 1918, Bildquelle: Eybl (Plakatmuseum Wien) via Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Doch auch die kurzlaufenden Staatsanleihen der seinerzeit überragenden Siegermacht USA bescherten den Anlegern nach Abzug der Inflationsrate über einen erstaunlich langen Zeitraum, nämlich zwischen 1933 und 1998, eine glatte Nullrendite. Dieser Salamicrash trug dazu bei, die gigantische Staatsverschuldung des Landes in Folge des Zweiten Weltkrieges auf Kosten der Investoren abzutragen. Ähnlich sieht der Befund für Großbritannien und Frankreich aus, mit deren Anleihen die Investoren zwischen 1940 und 1979 inflationsbereinigt 1,9 beziehungsweise 4,5 Prozent verloren – wohlgemerkt: pro Jahr! Im Durchschnitt betrug der Realzins, also die inflationsbereinigte Rendite, für die von Industrienationen begebenen Staatsanleihen in den 35 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges minus 1,6 Prozent per annum, wie die beiden US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerinnen Carmen M. Reinhart und M. Belen Sbrancia im Rahmen einer Studie für das National Bureau of Economic Research in Cambridge (USA) ermittelt haben.

Blaupause Salamicrash

Mit diesem Salamicrash, der auch unter dem Fachbegriff der finanziellen Repression bisweilen im deutschen Blätterwald präsent ist, entledigten sich die öffentlichen Haushalte relativ geräuschlos ihrer in Folge des Krieges aufgetürmten Schuldenberge von zum Teil dem Mehrfachen der jährlichen Wirtschaftsleistung. Dieser betrug beispielsweise in den USA knapp 120, in Großbritannien sogar – wie schon einmal nach dem Ende der Napoleonischen Kriege – über 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP, siehe Grafiken).

Staatsverschuldung der USA in Prozent des BIP
Staatsverschuldung der USA in Prozent des BIP, Bildquelle: Congressional Budget Office via Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Wer angesichts ähnlich prekärer Spannungen in den Staatshaushalten der Gegenwart hierin eine Blaupause für die Zukunft erkennt dürfte nicht ganz verkehrt liegen. Selbige hat jedenfalls die bereits erwähnte Carmen M. Reinhart, diesmal im Zusammenwirken mit ihrem Harvard-Kollegen Kenneth S. Rogoff, recht plastisch gezeichnet. In einem „Working Paper“ des Internationalen Währungsfonds mit dem bezeichnenden Untertitel „Financial and Sovereign Debt Crises: Some Lessons Learned and Those Forgotten“ projizieren die beiden Ökonomen das obige „Erfolgsmodell“ des schleichenden Sparverlustes auf die in den Mahlstrom des Schuldenstrudels gesogene Gegenwart. Demnach ließen sich verbriefte Staatsschulden problemlos auf Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen abwälzen, indem diese über Regulierungsmaßnahmen gezwungen werden, weit geringere Renditen zu akzeptieren, als sie unter normalen Umständen fordern würden.

Staatsverschuldung Großbritanniens in Prozent des BIP
Staatsverschuldung Großbritanniens in Prozent des BIP, Bildquelle: Gedefr via Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Der Hans-im-Glück-Effekt

Zu denken sollte Anlegern auch geben, dass nach Artikel 12 Absatz 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) de facto alle seit Januar 2013 neu begebenen Staatsanleihen im Euro-Währungsgebiet mit einer sogenannten Collective Action Clause (CAC) beziehungsweise Kollektive Handlungsklausel ausgestattet sein müssen. Damit können die Schuldner bei Bedarf künftig auch gegen den Willen bedeutender Minderheiten unter ihren Gläubigern Restrukturierungen, sprich (Teil-)Enteignungen, durchsetzen. Diesem Risiko setzen sich selbstverständlich nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittelbaren Halter der Anleihen aus, beispielsweise die Eigentümer von Lebens- und Rentenversicherungen, Verträgen zur betrieblichen Altersvorsorge, rentenlastigen Investmentfonds sowie allen anderen Kapitalanlageprodukten, deren Anbieter verpflichtet sind, Einlagen zumindest teilweise in (Euro-)Anleihen höchster Bonität anzulegen.

Ob allerdings die Wiederauflage einer Finanzrepression die monetären Verpflichtungen in Folge des Krieges gegen Armut, Terror und Klima friktionslos abzuschmelzen vermag sei mal dahingestellt. Der letzte Entschuldungsprozess erfolgte in der Baby-Boomer-Ära eines fast drei Jahrzehnte währenden Nachkriegsaufschwungs mit Wachstumsraten von drei bis vier Prozent pro Jahr in der westlichen Welt. Die laufende Entwertung des Geldvermögens wurde dabei durch die deutlich spürbare Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen – Eigenheime, Autos, Fernseher und Haushaltsgeräte wurden für eine breite Mittelschicht zugänglich – zumindest gefühlt mehr als aufgewogen. Auf eine Kompensation in Form solch dieses Hans-im-Glück-Effekts dürfen Anleiheinvestoren heuer allerdings kaum hoffen.

Anleihen aus der Zweiten Welt

Und was ist mit Schwellenländeranleihen, den sogenannten Emerging Markets Bonds? Nun, hier lassen sich in der Tat weitaus höhere, teils zweistellige Renditen erzielen, freilich unter Inkaufnahme entsprechender Risiken. An dieser Stelle sei exemplarisch an den Staatsbankrott Argentiniens im Jahr 2001 erinnert. Angesichts der Kapriolen entsprechender Anleihen- und Devisenkurse stellt sich dann allerdings die berechtigte Frage, warum stattdessen nicht gleich in dividendenstarke Aktien des jeweiligen Landes investieren werden sollte. Auf diese Weise erwirbt der Anleger wenigstens in aller Regel substanzhaltiges Produktivvermögen, welches nicht für wertlos erklärt werden kann und einem geringeren politischen Entwertungsrisiko unterliegt als manipulationsanfällige Geldwerte.

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