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Jonglieren mit Trillionen
Die Hyperinflation der 1920er Jahre in Deutschland und Österreich war nicht nur ein wirtschaftliches Desaster, sondern auch eine Bühne für extreme Gewinner und Verlierer – von Spekulanten, die mit längst entwertetem Geld immense Vermögen aufbauten, bis zu Gescheiterten, deren Ersparnisse buchstäblich verdampften. Zwei Protagonisten dieser turbulenten Zeit, Camillo Castiglioni und Hugo Stinnes, stehen exemplarisch für den Aufstieg und die Entthronung zweier „Inflationskönige“ in einer ökonomisch instabilen Welt.
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- 0:00:00 Die deutsch-österreichische Inflation der 1920er Jahre
- 0:04:23 Vorstellung von Camillo Castiglioni – Biografie und Bedeutung
- 0:13:25 Castiglioni Einfluss auf Flugzeug- und Automobilindustrie
- 0:20:07 Castiglioni Kapitalspiel und gesellschaftliche Kritik
- 0:28:35 Übergang zu Hugo Stinnes – Aufstieg und Hintergrund
- 0:36:02 Stinnes’ Strategien während der Hyperinflation
- 0:42:28 Tod von Hugo Stinnes und Folgen für sein Imperium
- 0:47:17 Erklärung der Eigentumsökonomik anhand Stinnes Beispiel
- 0:53:27 Der Cantillon Effekt und Verteilung von Geldmengen
- 0:59:33 Der Minsky-Moment – Finanzielle Instabilität erklärt
- 1:04:21 Vergleich der Persönlichkeiten Castiglioni und Stinnes
- 1:06:01 Literaturempfehlungen und abschließende Hinweise
Unternehmer im Ausnahmezustand
Camillo Castiglioni war kein Erfinder, sondern ein Finanzstratege, der den industriellen Aufbruch Mitteleuropas verstand und kapitalisierte. Vom Triester Rabbinersohn zum Luftfahrtmagnaten, vom Gummifabrikanten zum Bankier: sein Weg führte durch die gesamte Ökonomie der Habsburgermonarchie. Er finanzierte Flugzeugmotoren, förderte Ferdinand Porsche, stieg bei Austro-Daimler und BMW ein – und erkannte früh, dass man Inflation nicht fürchten, sondern nutzen konnte.
Sein Prinzip war einfach: investieren mit geliehenem Geld, das täglich an Wert verlor. Die Gewinne real, die Schulden nominal. Castiglioni spekulierte auf den Verfall der Krone – und gewann, solange das Papiergeld verfiel. Er war ein Pionier des „Buy now, pay later“-Prinzips, lange bevor es Marketingabteilungen erfanden. Als die Inflation jedoch endete und mit der Einführung des Schillings wieder Maß und Wert galten, war sein Imperium überdehnt. Der Haifisch der Wiener Finanzwelt, wie ihn die Presse nannte, endete als Kulturmäzen mit angeschlagenem Ruf. Seine letzte Währung war Reputation.
Der Mann, dem Deutschland gehörte
Hugo Stinnes, geboren im Ruhrgebiet, war das deutsche Gegenstück – industrieller Pragmatiker statt Finanzartist. Schon vor dem Ersten Weltkrieg kontrollierte er Zechen, Stahlwerke, Reedereien und Kraftwerke, baute RWE mit auf und verstand die Macht vertikaler Integration: fördern, transportieren, verarbeiten – alles aus einer Hand. Als die Mark nach 1918 verfiel, erkannte Stinnes den Mechanismus der Entwertung.
Er nahm Kredite auf, kaufte reale Vermögenswerte und tilgte sie mit wertlosem Papier. Während Millionen ihre Ersparnisse verloren, verdichtete Stinnes ein Konglomerat aus über 1.500 Unternehmen. Seine Kritiker nannten ihn den „König der Inflation“, seine Biografen den Architekten eines kreditgetriebenen Imperiums. Doch sein System war auf ihn allein zugeschnitten. Mit der Währungsstabilisierung brach es zusammen – und mit seinem Tod 1924 fiel es in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
Eigentum, Geld und Macht
Beide Männer handelten nach ökonomischen Prinzipien, die erst Jahrzehnte später systematisch beschrieben wurden. Die Eigentumsökonomik lehrt, dass nur gesicherte Eigentumsrechte Kreditwürdigkeit und damit wirtschaftliches Wachstum ermöglicht. Sowohl Castiglioni als auch Stinnes nutzten ihre Vermögenswerte als Sicherheiten, um den Zugriff auf neues Geld zu erlangen. Eigentum war die Basis ihrer Expansion – und ihr Hebel gegen die Inflation. Wer besitzt, kann beleihen. Wer nichts besitzt, verliert.
Dazu kam der Cantillon-Effekt: Diejenigen, die frühzeitig Zugang zu neu geschaffenem Geld haben, profitieren überproportional, während die Letzten in der Kette die Rechnung bezahlen. Stinnes und Castiglioni saßen an der Quelle – Unternehmer mit Kreditzugang und politischem Einfluss. Der Mittelstand, Beamte, Rentner dagegen verloren an Kaufkraft. So entsteht Vermögenskonzentration nicht durch Geldpolitik. Inflation ist immer eine Umverteilung – von Sparern zu Schuldnern, von Besitzlosen zu Besitzenden.
Der dritte Lehrsatz, der sogenannte Minsky-Moment, erklärt schließlich den Untergang beider Imperien. Übermäßige Kreditfinanzierung erzeugt in Zeiten künstlich billigen Geldes eine Phase spekulativer Euphorie, die sich selbst nährt, bis sie kollabiert. Genau das geschah nach der Stabilisierung der Währung: plötzlich waren Schulden wieder real, die Blase platzte, und was zuvor als unternehmerischer Genius galt, entpuppte sich als kreditgetriebenes Schneeballsystem. Kein Zentralbanker, kein Politiker rettete die neuen Titanen des Kapitals. Sie waren Kinder der Inflation – und Opfer ihrer Konstruktion.
Die Wiederkehr der Versuchung
Die Biografien von Stinnes und Castiglioni sind Spiegel unserer Gegenwart. Auch heute leben wir in einem System permanenter Geldschöpfung, staatlicher Verschuldung und kreditgetriebener (Schein-)Prosperität. Wieder profitieren jene, die zuerst an die Quelle des billigen Geldes gelangen – Großkonzerne, Finanzinstitute, Staatsapparate –, während die produktive Mittelschicht allzu oft das Nachsehen hat. Die Instrumente sind raffinierter, die Mechanismen dieselben.
Wer aus diesen historischen Parallelen lernen will, sollte sich der Illusion der Geldwertstabilität entziehen und in Substanz denken: reale Vermögenswerte, Beteiligungen, unternehmerisches Eigentum. Nicht (nur) in Nominalwerten, die politisch jederzeit entwertet werden können. Castiglioni und Stinnes nutzten die Schwächen des Systems – der heutige Anleger sollte sie zumindest vermeiden.
Fazit: Lektionen der Geldentwertung
Inflation ist kein Naturereignis, sondern eine politische Entscheidung. Camillo Castiglioni und Hugo Stinnes handelten rational im irrationalen Umfeld – und wurden dafür zugleich bewundert und gehasst. Ihr Aufstieg war möglich, weil der Staat das Geldsystem entwertete; ihr Fall, weil er es wieder stabilisierte. Das Fazit ist unbequem, aber zeitlos: Wer in Papier vertraut, verliert. Wer Eigentum aufbaut und in der Lage ist, dieses zu verteidigen, bleibt handlungsfähig – auch in Zeiten, in denen die politischen Daumenschrauben angezogen werden. Freiheit im ökonomischen Sinne beginnt dort, wo Abhängigkeit vom Geldmonopol endet.
Medienempfehlungen
Bei dieser Folge der Geldgeschichte haben wir uns unter anderem auf folgende Quellen gestützt, die wir zur Erweiterung beziehungsweise Vertiefung des jeweiligen Themenschwerpunkts empfehlen können:
- Dieter Stiefel: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische (*)
- Reinhard Schlüter: Der Haifisch – Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni (*)
- Gerald D. Feldman: Hugo Stinnes – Biographie eines Industriellen 1870-1924 (*)
- Gunnar Heinsohn / Otto Steiger: Eigentumsökonomik (*)
- Hyman P. Minsky: Instabilität und Kapitalismus (*)
Immer einen musikalischen Abstecher wert ist zudem die Playlist der Geldgeschichte(n) auf Spotify, welche alle Musikstücke umfasst, auf die wir bisher in unserem Format referenziert haben!
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