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Langfristig steigen Aktien immer
Diesen Satz dürftest Du in Deinem Anlegerleben mehrfach gehört haben, sofern Du Dich mit der Börse beschäftigt hat, schließlich kommt kaum ein Finanzratgeber ohne das Mantra der im langfristigen Durchschnitt steigenden Aktienmärkte aus. Es genießt sogar mannigfaltige akademische Weihen. Zahlreiche empirische Untersuchungen untermauern diese Gesetzmäßigkeit für die historisch gewachsenen Finanzmärkten westlicher Industrienationen in den letzten 200 Jahren.
Neben Immobilien vermag allein ein Aktienportfolio signifikant positive Realrenditen zu erzielen. Eine hinreichend breite Streuung und einen langen Atem vorausgesetzt. Letzterer ist jedoch der entscheidende Knackpunkt. Mental wie zeitlich. Dann nämlich, wenn ich besagten Atem nicht aushalte beziehungsweise mir nicht leisten kann oder möchte.
So schön die Aktienindizes im langfristigen Chart auch aussehen mögen. Die scheinbar lupenreinen LuRo-Trendkurven (links unten, rechts oben) täuschen über die teils Jahrzehnte währenden Durststecken hinweg. Diese können für Anleger im gesetzten Alter, für solche mit nennenswertem Vermögen oder jenen, die hierzu weder Lust noch Nerven haben, zum Problem werden. Betrachten wir dazu das Beispiel eines typischen Anlegers.
In den letzten zehn Jahren hatte er alles richtig gemacht. Monat für Monat weniger ausgegeben als eingenommen. Den Überschuss und all seine Ersparnisse an der Börse investiert. Breit gestreut über die besten und größten Wachstumsaktien der Welt – die seines Heimatlandes. Die 19,6 Prozent Rendite pro Jahr hatten sein Depot an die magische Eine-Millionen-Dollar-Schwelle gewuchtet.
Nur noch zwei, vielleicht drei weitere Jahre, so seine Rechnung, dann könnte er endlich in den vorgezogenen Ruhestand übergehen. Selbst mit bescheidenen vier Prozent Rendite im Jahr könnte er ein finanziell sorgenfreies Leben führen. Zuversichtlich blickte Kiyoshi Tanaka in die Zukunft, als er auf das Jahr 1990 anstieß.
Langfristig sind wir alle tot
Zwei Jahre später war der Traum sprichwörtlich zerplatzt. Tanakas Depot war wie das Millionen anderer Japaner regelrecht implodiert. Der japanische Leitindex, der Nikkei 225, hatte 54,6 Prozent verloren. Die Unternehmen aus dem Land der aufgehenden Sonne kämpften ums Überleben. Aus der Spitzenliste der globalen Champions hatten sie sich ohnehin längst verabschiedet.
Immerhin blieb die Arbeitslosigkeit in Japan niedrig. Auch Tanaka konnte weiterhin seinem Bürojob nachgehen. Wenigstens hatte er sich nicht bis zur Halskrause verschuldet, um eine Rendite-Immobilie zu kaufen. Deren Preise fielen gerade ins Bodenlose und trieben ihre Eigentümer reihenweise in den Konkurs und teilweise in den Suizid.
Noch hoffte er wie fast alle seine Landsleute auf eine baldige Wende. Das Ende einer zwar heftigen, aber zeitlich begrenzten Korrektur, wie sie immer mal wieder die Börsen heimsucht. Schließlich flutete die japanische Regierung die Volkswirtschaft lehrbuchmäßig mit billionenschweren Konjunkturprogrammen.
Zehn Jahre später schloss das japanische Börsenbarometer all den Yen zum Trotz sogar 77,1 Prozent unter dem Allzeithoch. Nach einer weiteren Dekade hatte Kiyoshi Tanaka das gesetzliche Eintrittsalter erreicht. Sein Depot notierte 73,3 Prozent niedriger als im Dezember 1989. Es sollte weitere zwölf Jahre dauern, bis der Leitindex am 22. Februar 2024 nach dreieinhalb Dekaden, einen neuen Höchststand markierte, derweil Kiyoshi Tanaka seinen 77. Geburtstag feierte.
„Langfristig sind wir alle tot“ kommentierte der vermutlich bekannteste Ökonom des 20. Jahrhunderts die Hoffnung auf eine Wachstumsperspektive inmitten der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre. Ob John Maynard Keynes damit volkswirtschaftlich richtig oder falsch lag, sei einmal dahingestellt. Mikroökonomisch, die individuellen Finanzen betreffend, ist der Zusammenhang unausweichlich.
Es sind nicht immer 35 Jahre
Aber was wäre gewesen, so der berechtigte Einwand, wenn Kiyoshi Tanaka auch außerhalb seines Heimatlandes investiert hätte? Schließlich ist der Home Bias eine nur allzu bekannte kognitive Verzerrung. Das hätte ihm bedingt geholfen. Zumindest, wenn er sein Vermögen nach Marktkapitalisierung angelegt hätte. Und das aus einem heute fast in Vergessenheit geratenen Grund.
Der exorbitante Anstieg des Nikkei 225 nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte in vier Schüben. Der letzte dauerte 15 Jahre und bescherte den Anlegern im Durchschnitt 16,7 Prozent Rendite pro Jahr und endete 1989. Zu diesem Zeitpunkt hatten japanische Aktien im MSCI World Index eine Gewichtung von mehr als 50 Prozent. Von den 10 größten börsennotierten Unternehmen der Welt stammten sechs aus Japan, fünf davon waren Banken.
Einem Klumpenrisiko waren demnach auch breit aufgestellte Anleger ausgesetzt. Allerdings ging der Salamicrash am japanischen Markt in den 1990er-Jahren mit einem Aktienboom im Rest der entwickelten Welt einher. Der endete für John Smith und Max Mustermann nach einem spektakulären Exzess im Jahr 2000. Um ihre Einstandskurse aus der Jahrtausendwende wiederzusehen, mussten sie inklusive zweier massiver Einbrüche über zehn Jahre mitbringen, die Inflation nicht mitgerechnet.
Je nach Lebensalter war dies keineswegs die erste langjährige Durststrecke der beiden. Die vorherige beendete ab 1965 den Nachkriegsboom an den Aktienmärkten dies- und jenseits des Atlantiks und sollte 17 Jahre andauern. Unter Berücksichtigung der in den 1970er-Jahren hochschnellenden Preissteigerungsraten währte die Verlustphase gar bis zum Mauerfall im Jahr 1989.
Die Moral der Finanzgeschichte
Der legendäre Spekulant André Kostolany hat den hier skizzierten Sachverhalt auf eine prägnante Formel gebracht: „An der Börse sind zwei mal zwei niemals vier, sondern fünf minus eins. Man muss nur die Nerven haben, das Minus 1 auszuhalten.“ Gleichwohl gilt es zwei Dinge zu beachten. Zum einen kann sich das „Minus 1“ über mehrere Monate bis Jahrzehnte andauern, zum anderen überschätzen Anleger regelmäßig die Festigkeit ihres Nervenkostüms.
Reduzieren lassen sich nervliche Anspannung und Unterwasserphasen, indem von schwankungsreichen in schwankungsarme Anlagen umgeschichtet wird, also beispielsweise von Aktien in Anleihen. Dies geht jedoch auf Kosten der Rendite. Die so entstandene Lücke lässt sich, sofern erforderlich oder gewünscht, mit Optionen beziehungsweise konservativen Stillhaltergeschäften wieder schließen.
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